Wieso?
Es ist dunkel. Das Tageslicht bekomm ich nur durch die
klitzekleinen Spalten zu sehen, die an ein Fenster erinnern. Frische Luft hab
ich so gesehen noch nie geschnuppert. Was ist das eigentlich – das Ding, das
sie Frischluft nennen? Hier hängt der Duft des Todes in der Luft, vermischt mit
unserem eigenen Kot. Ja, ich bin zwar eingesperrt, aber ich bin nicht alleine.
Es heißt, wir waren mal frei – so erzählt man es hier. Ich weiß nicht so recht,
ob ich das glauben kann. Ich kann´s mir einfach nicht vorstellen. Wie das wohl
ist frei zu sein? Ich bin hier im meiner Zelle geboren. Ich kenne nichts
anderes als dieses Gefängnis. Aber warum bin ich eingesperrt? Was hab ich
verbrochen? Ich habe doch niemandem etwas getan! Freiheit… seltsames Wort. Man
sagt, früher konnten wir uns frei bewegen, essen wenn wir Hunger hatten und
frische Luft atmen. Ich halte das für ein Gerücht! Meine Freiheit beschränkt
sich auf ca. 2-3m². Eigentlich kann ich mich kaum bewegen aber das Gesetz sagt,
dass ich ausreichend Platz habe. Mehr steht mir nicht zu und damit muss ich
leben.
Tagsüber höre ich Schreie. Schreie von den Verurteilten. Sie
werden abgeholt, um getötet zu werden. Nein, ihnen wird nicht einfach der Kopf
abgeschlagen. Sie werden in Gruppen in die Todeskammer gestoßen. Dort wird
ihnen eine Pistole mit Betäubungsmittel an den Kopf gehalten aber das wirkt
nie. Sie werden an den Beinen Kopfüber
aufgehängt, während sie noch verstört zappeln und schreien – ich kann sie gut
hören. Es ist der bittere Schrei des Überlebenswillens aber sie haben keine
Chance. Sie werden halb erschlagen während sie herunterbaumeln. Die Bäuche
werden ihnen aufgeschlitzt bis sie verbluten und die anderen müssen dabei
zusehen bis sie selber an der Reihe sind.
Neulich war mal einer von uns krank. Da mussten wir alle
Medikamente nehmen, damit wir nicht angesteckt werden. Uns wurde in die Pampe,
die sie uns als Fraß vorsetzen, Antibiotika gesteckt, damit wir nicht auch
krank werden. Dabei merken die gar nicht, dass das uns nur noch mehr krank
macht und schädlich ist. Ich musste dieses Zeug essen, obwohl ich eigentlich
gar nicht wollte. Dieser Matsch schmeckt sowieso nicht gut – soll’s ja auch
nicht. Es ist einfach nur günstig und soll uns stopfen.
Nachts höre ich viele
schreien und weinen. Manche von ihnen haben Schmerzen, andere wissen genau, was
uns allen hier noch blüht. Jedes Mal wenn einer von denen im weißen Kittel
herein kommt, zucken wir zusammen. Manchmal schauen sie nur aber manchmal
werden wir auch in der Nacht weggebracht. Geschlafen hab ich schon lange nicht
mehr. Ich muss mir immer die gleiche Frage stellen. Wieso machen die das mit
uns? Warum ist die Welt so grausam? Ich hatte keine Antwort, bis eines Tages
ein Neuer zu uns kam. Er schien schon viel erlebt zu haben. Er berichtete mir
von der Freiheit, die wir nur als Mythos kannten. Er sagte, dass er mal so
gelebt hat, wie wir es nur aus Erzählungen her kennen. Bis auch er eines Tages
eingesperrt und zu uns gebracht wurde. Ich wollte Ihm so viele Fragen stellen.
Alles kochte in mir hoch aber dann wurde ich von hinten gepackt und aus meiner
Zelle gezogen. Ich schrie noch meine letzte Frage „Wieso?“. Er blickte zu mir
und sagte „Geld mein Lieber! – Das ist alles nur des Geldes wegen.“
Dann wurde auch ich, wie die übrigen Rinder, ins Schlachthaus
geführt.
Hakan Karakaya
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