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Mittwoch, 17. April 2013

Tatort Paprikastraße

Zwischen Buchsbaum und Plattenbau – Mafia Mord im Ghetto. Oder doch ein Ehrenmord?
Eingeengt im Kostüm der Vorurteile!

Die Wiederaufnahme des Theaterstücks „Tatort Paprikastraße“ von Emre Akal, welches bereits im Laboratorium Stuttgart aufgeführt wurde, feierte unter der Regie von Wilfried Alt am 2. Advent im ausverkauften Studio 1 des Stuttgarter JES Theaters seine Dernière.
Hinter jeder Tür steckt eine Geschichte – und davon gibt es viele im Hochhaus der Paprikastraße: Das 35 Jahre alte Muttersöhnchen Myschka, gefangen im Nest der russischen Mama; die alleinstehende und charmante Griechin, die immer für einen Flirt zu haben ist; das türkische Pärchen mit dem Werdegang Gymnasium – Abitur – Killesberg – Ghetto; das italienische Paar Franco und Luisa oder auch das junge Fick Fuck Girl. Alle haben etwas gemeinsam. Sie wirken resigniert, sind Migranten und führen ein scheinbar auswegloses Leben, eingeengt in einem tristen Hochhaus, das nur noch durch seinen Pastell Anstrich versucht, freundlich zu wirken. Und genau da setzt der Autor Emre Akal auch an, um seiner Kritik an der Stadtplanung und der Ghettobildung der Vergangenheit Ausdruck zu verleihen. „Tatort Paprikastraße“ beschäftigt sich mit dem Thema kultureller Klischees und zeigt einen gelungenen Querschnitt einer ganz bestimmten Gesellschaftsschicht im urbanen Milieu. Dabei wird deutlich, dass gerade die Klischees und Vorurteile, die sich in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft gefestigt haben, keine Rolle spielen. Man lernt sich von diesen Gedanken frei zu machen und eine tiefere, viel bedeutsamere Ebene zu betrachten – nämlich die der zwischenmenschlichen Beziehungen.
All dies wird vom Regisseur Wilfried Alt und seinem Ensemble in einem mitreißenden Krimi inklusive einer Pantomime, die unter die Haut geht, inszeniert. Das Stück ist auf zwei Ebenen aufgebaut. Der Hauptteil des Theaters handelt von der Vergangenheit, welches die nachbarschaftlichen Beziehungen der Menschen auf dem Hausflur eines Hochhauses zueinander beleuchtet und zeitlich einem Mord vorangeht. Dies wird durch Einblendungen eines Polizeiverhörs aus der Perspektive der jeweiligen Beteiligten unterbrochen, welches sich in der Gegenwart abspielt. Jeder der Protagonisten, angefangen bei der Sozialarbeiterin über die Bewohner des Hauses bis hin zur sensationsgeilen Reporterin, spekulieren dabei auf ihre ganz eigene Art und Weise über den Tathergang und das Motiv. 
Die Darsteller spiegeln das Gesellschaftsbild in Bezug auf Migranten wider, das mit allen denkbaren Klischees behaftet ist. Mit einem ausgezeichneten Kostümbild fügen sie sich außerdem hervorragend in das Umfeld des Hausflurs, welches von der Kostüm- und Bühnenbildnerin Ulé Barcelos gestaltet wurde, ein. Die authentisch dargestellten Charaktere überzeugen mit vielen gefühlvollen und berührenden Augenblicken, die den Zuschauer zum Nachdenken anregen. 
Mit „Tatort Paprikastraße“ ist allen Beteiligten ein großartiges Theaterstück gelungen. Dies bewies auch das Publikum mit langanhaltendem Applaus und der großen Nachfrage nach einer Wiederaufnahme. Und nicht nur Erwachsene hatten große Freude an diesem Abend, auch die jüngeren Zuschauer, die das JES Theater an diesem 2. Advent besuchten, werden wohl spätestens seit dieser Aufführung Gefallen am Theater gefunden haben.
Hakan Karakaya

Foto: Forum der Kulturen

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