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Mittwoch, 17. April 2013

Atlantropa

Albtraumtropa
Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit und an die Schule, in die Sie nicht gehen wollten. Erinnern Sie sich an den grauenhaften Geschichtsunterricht, der einfach nicht vergehen wollte. Willkommen zur Premierenvorstellung von „Atlantropa“ – 100 Minuten, in denen man sich genau so fühlte.  
Die SchauBurg, die als Schauplatz dieses Bühnendebakels fungierte, hat unter Regie von Sebastian Linz am 14.02.2013 zu einer Vorstellung eingeladen, die an Mittelmäßigkeit kaum zu übertreffen war. „Atlantropa“ nennt sich das surreale Vorhaben des Münchner Architekten Herman Sörgel, dessen Idee es 1927 war, eine Lösung für die Krisensituation Europas zu finden. Sein Gedanke war es, einen Staudamm bei Gibraltar zu errichten und somit das Mittelmeer vom Atlantik abzuschotten und den mediterranen Meeresspiegel erheblich zu senken. Durch Wasserkraft sollte Energie erzeugt werden, welches durch ein großes Netz für politischen und wirtschaftlichen Frieden sorgen sollte. Das durch die Absenkung des Meeresspiegels neu gewonnene und fruchtbare Land, sollte als Kornkammer dienen und europäischen Völkern eine Heimat bieten. In einer Weiterentwicklung sah das Projekt eine Erschaffung von großen Binnenmeeren vor, um aus Europa und Afrika einen unabhängigen Kontinent zu entwickeln. So viel zur Theorie – in der Praxis bietet sich dem Zuschauer an diesem Premierenabend zu Beginn ein Bibliothek ähnlicher Raum mit Kunstpflanzen, der im Laufe des Stücks noch eine zentrale Rolle spielt.
Die vier Hauptdarsteller sitzen an den Tischen verstreut im Raum und tragen scheinbar Informationen zu einem Thema zusammen. Und dann geht’s auch schon los. Das Ensamble „ausbau.sechs“ tritt nach vorne und setzt sich in einer Reihe hin. Der Zuschauer wird durch die vorgelesenen, langatmigen und uninteressanten Zahlen, Daten und Fakten zum Projekt „Atlantropa“ nahezu eingeschläfert. Fast dankbar dafür, dass die langweiligen Informationen zu Ende vorgetragen sind, kommt ein bisschen Action in die Bude, was jedoch wie ein hilfloser Aktionismus wirkt, um mit diesem trockenem Thema nicht in der Wüste zu landen. Die Schauspieler springen wild umher und geben sich einer jeweils neurotisch wirkenden Beschäftigung hin, wodurch der Regisseur Sebastian Linz wohl versucht, die Unsinnigkeit des Projekts „Atlantropa“ zu verdeutlichen. Es werden mit vollem Körpereinsatz und auf höchst umständliche Weise Tische jongliert und verrückt, unter denen die Schauspielerin Linda Löbel nahezu erdrückt wird. Jede freie Fläche des schwarzen Raums wird durch die am Boden kriechende, schreibwütige Michelle Bray mit einem weißen Stift beschrieben. Hysterisch wird durch Christoph Theußl der Sand aus den Töpfen der Kunstpflanzen auf einem Tisch ausgeleert und ein absurdes Sandkastenspiel beginnt, während der vierte im Bunde, Martin Schülke Bücher über Atlantropa zur Schau stellt und grinsend Zettel an einen Tischrand klebt. Begleitet wird dieser unruhige Wettkampf um die Aufmerksamkeit des Publikums durch die vorgelesenen Korrespondenzen zwischen den Staaten, die am Projekt „Atlantropa“ beteiligt sind. Die Szenen wechseln sich zwischen skurrilem Bühnenchaos und vorgelesenem Schriftverkehr knapp 100 Minuten lang ab. Der Lichtblick dieses Abends ist ein sympathischer alter Mann, gespielt von Helmut Stange, der als Bibliotheksangestellter immer wieder über die Bühne huscht und dabei das Gefühl vermittelt, eigentlich in einem anderen Theaterstück auftreten zu wollen – was sich schlussendlich auch bestätigt, als sich der selbige gegen Ende als Goethe präsentiert. Ein tatsächlich abgetrennter und herrausragender Augenblick an gutem Schauspiel. 
Weitere Spieltermine dieses Doku-Horrors können leidensfähige Zuschauer dem Programm der SchauBurg München entnehmen.
Hakan Karakaya

Foto: DigiPott

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